Wien

Wien wuchs zur frühen Gründerzeit unablässig. Die Bevölkerungszahl der „kaiserlich-königlichen Reichshaupt- und Residenzstadt“ nahm im Verlauf 19. Jahrhunderts um das Siebenfache zu. Viele strömten aus den so genannten Kronländern in die für die Gastlichkeit der Einwohner bekannte Donaumetropole. Die Zuwanderung fand zunächst in den umliegenden Vorstädten und Vororten statt. 1857 beauftragte Kaiser Franz Josef I. dann die kontrovers aufgefasste Schleifung der Stadtmauern. Symbolisch hierfür steht die am 1. Mai 1865 eröffnete „Ringstraße“, einem prächtigen Boulevard. Nach wirtschaftlich angespannten Zeiten florierte Wien in diesen Jahren. Eine liberale Grundhaltung wurde zur vorherrschenden politischen Strömung. Das Wachstum war jedoch auch durch die Ausweitung der Geldmenge im Zuge des Krieges gegen Preußen 1866 begünstigt. Folgerichtig kam es 1873 zum „Großen Krach“, der nicht nur wirtschaftlich schmerzhaft war, sondern auch zu einer Art Zäsur in der allgemeinen Mentalität führte. An Stelle des Liberalismus traten Sicherheitsstreben und Staatsglaube, mit der unablässigen Folge einer wachsenden Bürokratie. Die Entfaltung des Individuums in der liberalen Ära hatte zuvor genau jene spannungsreiche Atmosphäre erzeugt, die im ausgehenden 19. Jahrhundert die bildende Kunst, die Literatur, die Musik sowie die Wissenschaften in Wien so sehr befruchten sollte. Das politische und intellektuelle Klima Österreichs im 20. Jahrhundert hätte am liebsten diese materiellen, geistigen und kulturellen Errungenschaften des Liberalismus vergessen gemacht.
Auch die von Carl Menger in den 1870er Jahren begründete Wiener Schule der Nationalökonomie blieb von diesen Entwicklungen nicht unverschont. Sie hörte nach der Emigration fast all ihrer Vertreter Ende der 1930er Jahre praktisch auf in Wien zu bestehen. Vorher schon hatte sie jedoch, v.a. bedingt durch zunehmende Staatsnähe, an wissenschaftlicher Tragweite verloren.

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